
Kaum eine neue Disziplin des Mountainbikens hat in den letzten Jahren so viel Aufsehen erregt, wie das Bike-Bergsteigen. Während Stars der Freeride-Szene in waghalsigen Manövern steile Rinnen hinabfliegen und Rennfahrerinnen und Rennfahrer in verschiedenen Disziplinen um Bestzeiten ringen, sind Bikebergsteiger bislang jedoch eher abseits des gefeierten Mainstreams unterwegs. Klar: Ihre Wege führen dorthin, wo Fahrradfahren unmöglich ist. Ihre Bikes sind kompromisslos auf den angestrebten Einsatz ausgelegt. Und es gibt für sie weder Weltmeisterschaft noch einen World Cup. Kurzum: So wie sich Bergspitzen in Wolken hüllen, haben sich die bikenden Gämsen auf diesen Gipfeln bislang eher im Hintergrund entwickelt. Und dennoch erregen sie Aufsehen. Aufsehen, da die Bilder, die beim Bike-Bergsteigen entstehen, für den normalen Mountainbiker unvorstellbar sind. Aufsehen, da sich im Hochtouren-Thread in der Galerie eine stetig wachsende Gemeinschaft auf dem Laufenden hält, welche Gipfel mit dem Fahrrad erklommen werden können. Aufsehen, weil einer der Pioniere dieser Spielart des Mountainbikens – Harald Philipp – mit einer Vortragstournee durch die Welt zieht und als Botschafter für den Sport unterwegs ist.
# Harald Philipp an den Grenzen des Machbaren – Biken auf dem Gletscher ist nur mit perfekter Vorbereitung an einigen wenigen Tagen im Jahr möglich. Bild von Sebastian Doerk
Der Vortrag
Kurz und knapp lautet der Titel seiner Tournee: Bike-Bergsteigen. Wir hatten die Gelegenheit bei einem seiner ersten Auftritte in München dabei zu sein und haben gemeinsam mit ca. 600 weiteren bergbegeisterten Zuhörerinnen und Zuhörern quer durch alle Altersklassen dem Vortrag gelauscht. Im Rahmen seines zweistündigen Programms folgt Harald Philipp einem gemeinsam mit seinem ständigen Begleiter – einem Liteville 301 – und vielen weiteren bekannten Zeitgenossen einem Tourenbuch, das die Kapitel der multimedialen Reise vorgibt. Aufmerksame LeserInnen von MTB-News.de werden den ein oder anderen Beitrag wie den Erfolgsfilm “Sea of Rock” oder die beeindruckende Gletschertour zum Monte Cevedale bereits kennen, doch so wie der Sport sich entwickelt hat auch Harald Philipp nachgelegt und erstmals selbst Regie geführt. So zeigt Harald bislang unveröffentlichte Drohnenaufnahmen aus der Wiege des Bike-Bergsteigens bei Innsbruck und teilt eindrucksvolle Bilder aus den Tiefen der Alpen mit seinem Publikum.
# Der Carl-Orff-Saal im Münchner Gasteig – 600 Gäste lauschen den Beschreibungen, wie sich Wanderer und Mountainbiker im Hochgebirge verständigen…
# … doch im Gegensatz zu flachen Isartrails suchen die beiden Gruppen in den höheren Schichten dieser Welt nicht den Streit sondern das gemeinsame Erlebnis am Berg. Klasse!
Bike-Bergesteigen ist Alpinismus. Hier gibt es keinen Sturzraum oder Auslaufzonen. Umso wichtiger ist es, dass man weiß, was man kann und können will. Sonst heißt es im schlimmsten Fall: Leben oder Tod.
Harald Philipp verankert das Bike-Bergsteigen direkt fest im Alpinismus, denn hier geht es weder um Zeit noch um objektiv bewertbare Schwierigkeit. Vielmehr soll es seiner Meinung nach beim Bike-Bergesteigen um die Faszination Bergwelt gehen, bei der neben der sportlichen Herausforderung auch das Miteinander, der Weg und nicht zu letzt der Einklang mit der Natur im Vordergrund stehen. So beginnt der Vortrag mit eindrucksvollen Aufstiegsszenen, beschreibt das Streben zum und das Leben am Gipfel und führt in beeindruckender Klarheit die Herausforderungen der Abfahrt zur Geltung. Ein breiter Mix aus Fotos und Videos verkörpert die jeweiligen Kapitel und während viele Biker derartige Aufnahmen kennen, kommen sie auf einer großen Leinwand und mit feinem Schnitt noch beeindruckender daher. Wichtiger jedoch: Harald Philipp lässt in seinem Film die Urgesteine der Innsbrucker “Vertrider” zu Wort und Bild kommen, die als Wegbereiter des Bike-Bergsteigens in seiner heutigen Form mitbegründet haben.
# So sieht’s der Wanderer, doch die heutigen Bike-Bergsteiger haben die Grenzen des Fahrbaren deutlich geweitet.
So legt Harald Philipp dann auch einen großen Wert auf die ihn begleitenden Personen und unterstreicht damit die Wichtigkeit der Gruppe am Berg. Seilschaft nennt er dieses Kapital, lehnt sich dabei jedoch nur vom Wort her an den Alpinismus an und hebt hervor, dass es beim Bike-Bergsteigen um das gemeinsame Erlebnis am Berg geht – und nicht den Kampf gegen Uhr oder Schwierigkeit. So und durch die gut gewählten Bilder sowohl namhafter Fotografen, als auch seiner Mutter Uta Philipp, die ihn auf den mit spannendsten Touren begleitet hat, gelingt es Harald Philipp in seinem Vortrag, das Thema auch für diejenigen Zuhörer greifbar zu machen, die sich bislang weder vorstellen konnten, dass Mountainbikes in derartigen Höhen bewegt werden können, noch selbst jemals mit ihrem Fahrrad in derartiges Gelände vordringen werden.
SEA OF ROCK von infinitetrails.de – mehr Mountainbike-Videos
An diesem Punkt kommt der Vortrag an eine Grenze, denn für die versierten Zuhörer, die bereits mit dem Sport vertraut sind, lässt der Vortrag manches Fragezeichen. Für Mountainbiker, die selbst mit dem Gedanken spielen, in die höheren Lagen der Berge aufzusteigen, fehlen wichtige Informationen, wie beispielsweise Touren ohne entsprechendes auf Mountainbikes zugeschnittenes Material geplant werden und wie sich eine mehrtätige Tour mit dem Fahrrad in der alpinen Praxis umsetzen lässt. Wohin mit möglicher Weise benötigten Zelten und schwerer Ausrüstung? Wie weit kann man auf Klettersteigen kommen und wie funktioniert die Fahrtechnik in alpinen Regionen? Im Hinblick auf diese Fragestellungen muss Harald Philipp einen Kompromiss eingehen, denn für den einen wären diese Informationen von besonderem Wert, während sie andere ZuhörerInnen glattweg langweilen würden. So beschränkt er sich darauf, kurz die Besonderheiten seines Bikes vorzustellen, einem Liteville 301, das er uns bereits als sein Arbeitsgerät vorgestellt hat [Link zum Artikel über Harald’s Liteville 301]. Im Vergleich zu dem erst kürzlich vorgestellten Liteville 601 von Tobi Leonhard [Link zum Arbeitsgerät] fällt jedoch direkt auf, dass es verschiedene Ansätze für das Bike zum Bergsteigen gibt. Und auch wenn dieser Eindruck entstehen mag: In die Berge kommt man auch ohne Liteville ;).
# Harald Philipp, sein Bike und ein junger Fan. Die Zuhörer in München waren begeistert von der einzigartigen Welt des Bike-Bergsteigens.
Fazit
Bike-Bergsteigen fasziniert. Es setzt am Pioniergeist des alpinen Sports an und lässt sich bislang kaum in klar absteckbare Grenzen fassen. So macht weder die Höhe des Berges, noch die Art des Terrains Bike-Bergsteigen an sich aus. Es ist vielmehr die Lebenseinstellung, die Wahl des Sportgeräts und die präzise Vorbereitung und Durchführung einer Tour an den Grenzen der Berge und des eigenen Könnens entlang. Denn trotz alles Schönheit der Berge gilt beim Bike-Bergesteigen: der Mensch an sich ist verschwindend klein.
INTO THIN AIR | The whole story von infinitetrails.de – mehr Mountainbike-Videos
Weitere Informationen
- Bilder von Manfred Stromberg und Sebastian Doerk (Aufmacher)
- Text von Tobias Stahl, MTB-News.de 2013
- Weitere Informationen zur Vortragsreihe auf MTB-News.de und Summitride.com
Eure Erfahrungen!
Du bist auch bei einem von Harald’s Vorträgen gewesen? Du bist selbst Bike-Bergsteiger? Steig mit ein in die Diskussion. Als Anstoß würde ich vorschlagen, dass wir fortan das Wort Bike-Bergsteigen (BBS) mit einem Bindestrich schreiben. Das wäre der deutschen Sprache gerecht und schöner als Fahrradbergsteigen ;).
Der Beitrag Bike-Bergsteigen Vortrag von Harald Philipp – eine Kritik ist auf MTB-News.de erschienen.